Der Indien-Koller – Jodhpur und Udaipur

Plötzlich ist er da, der Indienkoller. Wir sind in überfüllten, überhitzen Bussen gesessen, während der Schaffner über uns hinweg auf den Lehnen geklettert ist. Moritz verschwand aufgrund von Platzmangel unter der Achsel einer dicken, schwitzenden Inderin. Wir haben unsere Rucksäcke durch schmutzige, überflutete Straßen zwischen Kühen und Hunden hindurch geschleppt und uns wurde mehrmals fast oder ganz roter Betelnuss-Speichel-Brei auf die Füße gespuckt. Wir haben mitangesehen, wie Leute täglich ihren Müll und ihre Fäkalien in die Rinne neben der Straße kippen, wohl wissend, dass am nächsten Tag die Frau aus der unteren Kaste das Ganze mit bloßen Händen herausholen wird. Wir erschauderten, als wir erleben, dass es normal ist, seine Angestellten wie Menschen zweiter Klasse zu behandeln. Moritz wurde von einer einfach aus dem Fenster geworfenen leeren Shampoopackung am Kopf getroffen. Mehrmals wurden wir von vorbeifahrenden Autos oder Tuktuks gestreift und von verlausten und verkrusteten Straßenhunden verfolgt. Wir haben Hunde Windeln fressen sehen und erfahren, dass eine Erwachsene Kuh bis zu 150 kg Plastik in ihrem Bauch herumträgt. Wir schliefen in fleckigen Laken, träumen mehrmals von Bettwanzen und es bleibt ungewiss, ob das Jucken eingebildet oder echt war. Unseren Chai tranken wir aus verkrusteten Tassen und waren froh, dass er kochend heiß war. Bei vielen Mahlzeiten fragten wir uns, ob sie uns wohl eine Lebensmittelvergiftung einbringen würde und sind fasziniert, was ein menschlicher Körper so wegstecken kann. Wir wurden von feinen Damen wenn es um einen Platz in einer Schlange oder um die vorderste Position am Gepäckband am Flughafen ging, weggeschupst oder gedrängt und spürten das Gefühl, einfach immer zu kurz zu kommen in einem Land mit der unfassbaren Bevölkerung von 1,3 Milliarden. Wir stellten erschrocken fest, dass wir das Mitgefühl verlieren, wenn uns Bettler folgen und stattdessen genervt reagieren. Selbstverständlich schnitten wir anderen den Weg ab, weil wir wissen, dass wir sonst nie über die Straße kommen würden. Wir lagen nächtelang wach, weil wieder irgendjemand etwas zu feiern hatte und vor unserem Fenster ein drei Meter hohes Soundsystem aufgebaut wurde und wir den Bass bis sechs Uhr morgens im Bauch spürten und es jemand faszinierend fand, stundenlang „Hallo“ ins Mikrophon zu schreien. Tausendmal haben wir erlebt, dass die einfachsten Dinge unmöglich sind und man zum Beispiel einfach nicht an ein Busticket oder Bargeld kommt nur weil ein Mitarbeiter heute keine Lust hat oder der Geldautomat noch mit Windows XP läuft.

Ein paar Tage geht das so. Wir schleppen uns herum und verbringen unsere Tage in einem kleinen Cafe am Wasser. Auch wenn nichts Großartiges passiert, sind wir dünnhäutig und die Stimmung angespannt.

Dann betreten wir den Jagdish Temple, setzen uns, werden herzlich empfangen und hören lange den Gesängen der Gläubigen zu. Wir schauen in ihre glücklichen Gesichter und haben für kurze Zeit Teil an ihrem Gemeinschaftsgefühl und ihrem tiefen Glauben. Mit einer Gänsehaut merke ich: Wir sind doch am richtigen Ort und wir sind von einer Sekunde auf die andere versöhnt mit Indien.

 

5 Kommentare zu „Der Indien-Koller – Jodhpur und Udaipur

  1. Liebe Grüße aus Traunreut an Euch Zwei! Danke für’s Teilen Eurer Erlebnisse. Wieder super Bilder und ein sehr sehr steiler Schnauzer… Respekt
    Bis denne Boris

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  2. Hab soeben den neuen Eintrag gelesen und die super schönen Fotos betrachtet.
    So wunderbar die Bilder sind und so groß meine Reiselust Ist, das wäre wohl nicht mein erklärtes Ziel. Es wird beim Fotos-Anschauen und beim Zuhören der Reiseerzählungen bleiben.
    Viele Grüße aus der Heimat!

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