In Beijing treffen wir Jennifer. Natürlich hat sie eigentlich einen anderen, chinesischen Namen. Aber im Englischunterricht bekommt hier jeder einen Englischen Namen und der ist auch für ihre ausländischen Freunde einfacher. Schon in Japan und Korea war es nicht leicht, sich mit einem Couchsurfer zu treffen da die Leute fast rund um die Uhr arbeiten.
Auch in China antwortet außer Jennifer nur eine andere Person, die dann aber wegen der Luftverschmutzung nicht in der Stadt ist. Was es aber wirklich heißt, in China zu leben und zu arbeiten verstehen wir erst durch Jennifer.
Am Anfang ist sie ziemlich schüchtern. Wir spazieren zusammen durch die Stadt und sie zeigt uns ein paar Restaurants, in denen es ihre Lieblingsspeisen gibt. In einem Cafe können wir uns dann besser unterhalten. Zuerst plaudern wir über Belangloses. Als sie uns von ihrer Schulzeit erzählt, hat sie plötzlich einen dicken Kloß im Hals und wir das Gefühl, sie einfach in den Arm nehmen zu wollen. Die meisten finden es am sinnvollsten, wenn Kinder ab elf Jahren in ein Internat kommen, weil sie nur so eine Chance
auf einen guten Studienplatz haben. Dort werden sie von acht Uhr morgens bis acht Uhr abends unterrichtet. Bis zehn Uhr ist dann Zeit für die Hausaufgaben. Danach steht es einem frei, ob man ins Bett geht, oder noch in die Bibliothek. Die wenigsten legen sich allerdings schlafen, wenn die Konkurenz, und das sind die Mitschüler, noch bis nach Mitternacht lernen. Nach jedem Test werden die Ergebnisse nach absteigender Punktezahl veröffentlicht. Der ganze Unterricht, erzählt uns Jennifer, ist rein auf die großen Tests ausgelegt. Was dort nicht gefragt wird, ist unwichtig. Dinge kritisch zu hinterfragen oder anzuwenden, wird dort nicht verlangt. Freizeit haben die Schüler nur von Samstag Nachmittag bis Sonntag Vormittag, wenn der Unterricht wieder beginnt. Jennifer scheint wirklich gelitten zu haben und empfindet die Zeit an der Universität regelrecht als Befreiung, obwohl sie weder ihr Fach noch die Universität wirklich frei wählen konnte. Sie lebt in einem Wohnheimzimmer mit sechs anderen Mädchen auf engstem Raum. Ihre Habseligkeiten kann sie nur in einer kleinen Box oder auf ihrem Bett unterbringen. Es gibt nur einen Tisch mit drei Sitzplätzen und so legt sie sich sofort hin, wenn sie nachhause kommt. So gerne möchte sie reisen und die Welt sehen. Aber ihre Eltern erlauben ihr nicht, sich eine Auszeit zu gönnen. Sie haben Angst, dass sie dann keinen Job mehr findet. Anscheinend gilt es auf dem Arbeitsmarkt eher als Mangel, wenn man im Ausland war. Mich erschreckt es besonders, dass sie sagt, dass einen dann keine Firma mehr einstellen will, weil es bedeutet, dass man eine eigene Persönlichkeit hat. Man hat aber gerne Mitarbeiter, die man beliebig formen kann und die gehorchen.
Trotzdem ist es Jennifers großer Wunsch, im Ausland ihren Master zu machen. Auch weil nur die fünf Besten aus jeder Klasse einen Platz bekommen, ohne den knallharten Auswahltest zu bestehen und sie sich durch ihren Wunsch, wegzugehen, dem Gefühl entziehen kann, in Konkurenz mit den anderen zu stehen. Es beeindruckt uns sehr, dass sie, obwohl sie in diesem System großgeworden ist Dinge kritisch betrachtet und ganz eigene Träume hat. Gleichzeitig hat sie es damit aber besonders schwer, weil ihre Eltern genaue Vorstellungen und Erwartungen haben.
Überhaupt hatten wir nicht erwartet, dass die Menschen so offen ihren Unmut über die Regierung und das System ausdrücken. In einem anderen Gespräch erzählt uns ein Herr eindringlich wie „teuflisch“ – und er benützt ausdrücklich immer wieder dieses Wort, weil „schlimm“ einfach nicht genug ist – das Kommunistische Regime ist.
Auf der Großen Mauer
Unser Peking-Höhepunkt: Peking-Ente